Als ich Musik gemacht habe, Teil IV

Während der lustigen, aber letztlich nicht nachhaltig der Rede werten Zeit als 2er-Boyband 2 Boys 4 Love dachten Johannes und ich immer öfter daran, dass wir das selbstgewählte Korsett, eine waschechte Boyband imitieren zu müssen, eigentlich baldmöglichst sprengen mussten! Die lächerliche Maskerade und die latent-heimliche Hoffnung, doch noch zu The Dome eingeladen zu werden, wurden weniger wichtig. Gleichzeitig merkten wir, dass das Musizieren an sich unglaublich viel Spaß machte – unabhängig von einem aufgesetzten Teenieschwarmkonzept. Wir wollten nicht immer singen müssen, sondern auch mal instrumentale Stücke bringen. Oder jemand singen lassen, der das besser kann als wir. Oder mal mit Jochen Thoma zusammenzuarbeiten, der heute professionelle Funkmusik macht, und damals schon geile Stromgitarrensoli drauf hatte. Sprich: Wir wollten die Schublade verlassen und intelligentere, variantenreichere Popmusik machen.

Direkt nach Fertigstellung des letzten Songs für das erste und einzige 2B4L-Album machten wir also quasi übergangslos weiter mit dem ersten Song für unser neues Musikprojekt »Base-Box«. (Es gab bei uns übrigens keinen Ausschuss – alles, was wir produzierten, kam aufs Album!) Das muss dann ungefähr Anfang 1998 gewesen sein. Und interessanterweise mischte bei fast jedem der Stücke, die in den nächsten Monaten entstanden, ein anderer Gastmusiker mit: Wir hatten zwei charmante Sängerinnen (Karo mit eher klassischer Ausbildung, Yoyo ist heute bei big.fm zu hören – wenn auch »nur« als Moderatorin), und die Musik wurde definitiv immer professioneller und variantenreicher.

Softwaretechnisch konnten wir nun endlich auf einigermaßen synchrone Weise MIDI-Spuren und samplebasierte Spuren gemeinsam im Sequenzer abspielen, waren also nicht mehr auf die eher uncoolen MIDI-Drumsounds der XG-50 beschränkt, sondern konnten – das wichtigste Novum – sogar schmutzige Drumloops bauen. Dazu gab es ein aus heutiger Sicht lächerlich simples Loop-Arrangement-Programm, das man nach Wunsch mit eigenen Samples bestücken konnte. Und da kam mir ein weiteres Stück Software sehr gelegen, nämlich ein Basedrum-Generator, bei dem man diverse Zeit- und Frequenzwerte numerisch in Masken eintragen konnte, und damit die fettesten Bassschläge generieren konnte. Diese dann in den Drumloop-Generator eingespielt, mit Snares und Hihats aufgemotzt, und dann als loopfähiges Fragment in den Sequenzer. Zu dieser Zeit sind wir dann auch so langsam auf Cubasis umgestiegen, und hatten also nun vier mögliche Klangquellen: Selbstgebaute Drumloops als groovende-Basis, Fertige Samples von Sample-CDs (die wir aber nur selten verwendet haben), Melodie- und Harmonieinstrumente aus der MIDI-Soundkarte und natürlich Mikrofonaufnahmen von Gesang und live gespielten Instrumenten.

Die Sache mit den Instrumenten ging dann sogar soweit, dass wir ein Stück mit einem Streichorchester aufgenommen haben, nämlich »Cold as Ice«, welches von Yoyo komponiert wurde und eigentlich nur für Gesang und Klavier gedacht war. Wir haben daraus eine recht coole Triphop-Nummer gemacht mit einem Akustik-Drumloop, den ich auf einer Gratis-Sample-CD gefunden hatte und noch mit kräftigeren Basedrums aufgemotzt habe, und einem Streicherarrangement, welches wir mit dem Orchester der Musikschule Würzburg aufgenommen haben. Dazu ein bisschen LoFi-Plattennadelkratzen – glücklich ist das Triphop-Herz.

Andere Songs kommen mit 80er-Jahre-Gitarrensoli daher oder orientieren sich stark an Robert Miles Dreamdance-Stil, aber nicht ohne am Ende eine Akkord-Folge von Gustav Holst zu klauen. Es gab sogar ein Stück mit Vocoder-Stimme, wofür ich ein dahergelaufenes Kommandozeilentool zur Verschmelzung der beiden Klangquellen eingesetzt habe. Verrückt! Man kann sehen, wir haben ganz schön viel ausprobiert, ohne jedoch jemals den Pfad des Pop zu verlassen: Disharmonische oder wirklich experimentelle Klänge lagen uns fern. Wir wollten immer, dass unser Zeug gut ins Ohr ging.

Die Vermarktung unserer Lieder habe ich in dieser Zeit übrigens bereits ausschließlich im Internet vorangetrieben – absolut wegweisend, wenn ich das mal unbescheidenerweise sagen darf. Es verging damals kaum ein Monat, an dem nicht eine neue Website aus dem Boden gestampft wurde, bei der Hobbymusiker wie wir ihre Produktionen hochladen konnten. Die Vorgänger von Myspace und Soundcloud, gewissermaßen. Neben mp3.com gab es selbstredend mp3.de, aber auch Vitaminic, Uptrax, BeSonic, Virtual Volume, Callasong und andere! Wir waren überall! Und auf jeder Plattform wollte ich alle bisher entstandenen MP3-Dateien hochladen. Damals. Mit 65k-Modem und teuren Zeittarifen – ein Riesenspaß, wenn man pro Song 20 Minuten Upload-Time einrechnen musste! Immerhin: zusammengerechnet einige Tausend Leute haben sich das Zeug angehört, und von mp3.com haben wir sogar einmal einen Scheck über 5 Dollar per Post erhalten – es gab damals im Zuge der ersten Internetblase eine Art Vergütungsmodell für populäre Bands. Das waren noch Zeiten!

Jedenfalls haben wir es geschafft, ein weiteres komplettes Album zusammenzustellen, welches wir mit Street Symphony betitelten, und das auch aus heutiger Sicht nicht so furchtbar schlimm ist, wenn man es sich anhört. Doch unsere gemeinsame Zeit als Musikgruppe näherte sich nach meinem Abi trotzdem dem Ende: Zivildienst und Studiums-Bewerbung ließen kaum Gelegenheit für weitere gemeinsame Späße – eigentlich schade!